Am 23.10.2024 bin ich gemeinsam mit Klaus Lederer, Elke Breitenbach, Sebastian Scheel und Carsten Schatz aus der Partei Die Linke ausgetreten. Unsere gemeinsame Erklärung findet ihr hier. Für mich war und ist das ein sehr schmerzhafter Schritt nach fast 20 Jahren Mitgliedschaft, fast meinem halben Leben. Mich haben seit dem Austritt viele verständnisvolle und bewegende Rückmeldungen erreicht. Natürlich auch Kritik und auch eine Reihe von Nachfragen zu einigen der genannten Austrittsgründe und persönlichen Motiven. Ich möchte hier gern versuchen einige dieser Fragen zu beantworten.

Persönliches:

Seit dem Jahr 2000 war ich als Landes- und Bundesschülersprecher im Umfeld der PDS aktiv. Der Bankenskandal und die in dessen Konsequenz vorgezogene Neuwahl des Abgeordnetenhauses auf Landesebene sowie die Ablehnung des Afghanistankriegs politisierten mich landes- wie bundespolitisch nachhaltig. 

Anfang 2005 trat ich dann zu einem Zeitpunkt in die PDS ein, als die Neuwahl des Bundestages und der beginnende Fusionsprozess mit der WASG noch nicht abzusehen war. Umso begeisterter war ich von diesem historischen Projekt in Deutschland eine demokratisch-sozialistische Partei links der Sozialdemokratie aufzubauen. Als Trennungskind einer auf Sozialleistungen angewiesenen Putzfrau und eines ungelernten Arbeiters wollte ich aktiv daran mitwirken, dass zukünftig weniger Kinder in Armut groß werden müssen, das mehr Kinder bessere Bildungschancen bekämen und niemand zum Wehrdienst eingezogen wird. 

In den 19 Jahren meiner Parteimitgliedschaft gibt es viel, das gemeinsam erreicht wurde und auf das ich immer stolz sein werde. Eine besondere Ehre war es für mich, dass ich damals mit Carola Bluhm, Siglinde Schaub, Steffen Zillich u.v.a. die Berliner Gemeinschaftsschule als Mitarbeiter in der Fraktion entwickeln und verhandeln durfte. Dieses Projekt war und ist Chiffre für eine interventionsfähige Partei, die konkrete und umsetzbare Alternativen zum bestehenden System erschafft.  Auch die Zeit, als ich für Gesine Lötzsch während ihrer Zeit als Vorsitzende des Haushaltsausschusses arbeiten und in Lichtenberg 2013 Bundestagswahlkampfleiter sein durfte, prägten mein Verständnis für den Wert schlagkräftiger, auf praktische Interventionsfähigkeit gerichteter Oppositionsarbeit. Ich durfte als Abgeordneter maßgeblich das bundesweit liberalste Versammlungsfreiheitsgesetz schreiben, dass den Demonstrierenden mehr Freiheiten gibt als in anderen Bundesländern und zugleich eine rote Linie gegen Gewalt, Volksverhetzungen und Antisemitismus zieht.

Mangelnde Strategie und Interventionsfähigkeit:

„Zwischen Protest, Gestaltungsanspruch und über die derzeitigen Verhältnisse hinaus weisenden demokratisch-sozialistischen Alternativen spannt sich demnach der politische Raum auf, in dem sich die Partei erfolgreich bewegen kann. Politisches Handeln einer demokratisch-sozialistischen, einer linken Partei muss eine produktive Balance zwischen diesen drei Elementen herstellen.“ (Gründungserklärung Die Linke)

In der Gründungserklärung der Partei Die Linke haben wir uns positiv auf das in der PDS entwickelte „strategische Dreieck“ bezogen. Für mich war es stets mehr als nur ein geometrischer Kompromiss, der allen Strömungen einfach nur die Koexistenz ermöglichen sollte. Und ein Grund für unsere Erfolge in 2016, 2021 und 2023, in denen ich drei Mal in Folge das in Berlin beste Linke-Direktmandat gewinnen konnte, bestand darin genau diese drei Aspekte in der Kiezarbeit und der Arbeit im Parlament zusammenzudenken. 

Ein Paradebeispiel dafür war die Linke Wohnungspolitik zwischen 2016 und 2021: Im Kiez stehst du im Sinne eines Empowerments an der Seite von Mieter*innen, die sich gegen Innenhofbebauung wehren oder für Sauberkeit und intakte Aufzüge kämpfen. Im Senat setzt du mehr Sozialwohnungen und Mieterhöhungsstopp bei den landeseigenen Gesellschaften durch. Und im Abgeordnetenhaus beschließt du mit dem Mietendeckel zugleich eine konkrete Entlastungsmaßnahme sowie eine strategische Gesetzgebung, die über die derzeitigen marktwirtschaftlichen Verhältnisse hinausweist. Auch deswegen vermochte es Die Linke Berlin Ende 2018 in drei Umfragen in Folge mit 21 Prozent stärkste Kraft zu sein. Ein Blick auf die Berliner und die bundesweite Partei Die Linke im Jahr 2024 macht leider deutlich, dass dieser strategische Ansatz nur noch von einer Minderheit getragen wird. Spätestens seitdem sich zuspitzenden Konflikt mit dem Wagenknecht-Lager ist die Partei strategisch und inhaltlich zu einem Gemischtwarenladen mutiert, in dem jeder etwas für seine Ideologie findet – und zwar auch dann, wenn sich diese Positionen gegenseitig ausschließen. Die einzig zugelassene Währung im Gemischtwarenladen ist der Zusammenhalt aller in der Partei. Der Preis ist die Rutschbahn in die politische Bedeutungslosigkeit. Seit der Abspaltung des Wagenknecht-Lagers hat sich dieser Modus nicht geändert. Auch nicht auf dem Bundesparteitag in Halle. Exemplarisch dafür stehen die fortgesetzten Beschlüsse zur Außenpolitik. Aber auch in Berlin haben die Stimmen, die auf vermeintlich linken Bewegungspopulismus setzen und die Partei und Fraktion zu deren Transmissionsriemen machen wollen, die Oberhand gewonnen. Radikale Reformpolitik wird offen in Frage gestellt. Social Media Videos, Haustürgespräche, Spendenfonds und Bratwurst-Infostände ersetzen keine Strategie und führen nicht per se zu politischer Interventionsfähigkeit.

Unterkomplexe Außenpolitik:

„Solidarität ist die Zärtlichkeit der Völker“ (Che Guevara)

Die Linke nimmt für sich in Anspruch die einzige konsequente Völkerrechts- und Friedenspartei zu sein. Gleichzeitig ist sie spätestens seit der Abstimmung im Bundestag über die Rettung der Ortskräfte aus Afghanistan und dem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine nicht in der Lage von einem unterkomplexen Friedensbegriff abzulassen. Jeder weiß, dass ein Stopp von Waffen- und Munitionslieferungen an die Ukraine bedeuten würde dieses Land und seine Bevölkerung dem Aggressor auszuliefern. Es würde gleichzeitig den universellen Geltungsanspruch des Völkerrechtes aufgeben und dem Recht des Stärkeren das Wort reden. Zur für einen Linken widersprüchlichen Wahrheit gehört auch zunächst einmal festzustellen, dass die Mitgliedschaft in der NATO, das einzige gewesen wäre, was die Ukraine vor dem Krieg bewahrt hätte. Nicht zuletzt deswegen haben die historisch militärisch blockfreien Länder Schweden und Finnland unter Zustimmung vieler linker Menschen den Beitritt zur NATO vollzogen. Anstatt diese Entwicklungen zur Kenntnis zu nehmen, anstatt zuzugeben, dass auch Die Linke sich in Putin und dem Charakter seines Regimes jahrelang geirrt hat, anstatt diese Widersprüche zum Ausgangspunkt neuer linker und im Ziel überzeugender antimilitaristischer Außenpolitik zu machen, verharrt die Partei bei unrealistischen, widersprüchlichen und viel zu oft von Antiamerikanismus geprägten Phrasen. Für die mag man auf einem Bundesparteitag viel Beifall bekommen. Außerhalb unserer Blase versteht dies zu Recht kaum jemand, der sonst ansprechbar für uns wäre.

Mangelnde Abgrenzung von linken Antisemitismus in Wort und Tat:

„Die Forderung, dass Auschwitz nicht noch einmal sei, ist die allererste an Erziehung. Sie geht so sehr jeglicher anderen voran, dass ich weder glaube, sie begründen zu müssen noch zu sollen.“ (Theodor W. Adorno)

Ein Teil dieses Zitats von Adorno war in dem Antrag A4 zum vergangenen Landesparteitag enthalten. Genauso wie die Benennung der vielfach belegten Tatsache, dass auch in Teilen der Partei ein Problem mit linkem Antisemitismus besteht. Deswegen war und ist es leider notwendig sich davon deutlich abzugrenzen. Leider ist die Partei dazu augenscheinlich nicht in der Lage. Auf dem Berliner Landesparteitag wurde der Antrag nicht nur weitestgehend entkernt, sondern regelrecht in sein Gegenteil verkehrt. Auf dem Bundesparteitag in Halle gelang es zwar einen Kompromissantrag zu beschließen, doch erwies sich dieser als nicht belastbar. Wenige Stunden nach dem Beschluss kündigte einer, der von der Presse zum „Mitarchitekten“ dieses Kompromisses geadelt wurde, diesen auf, indem er  sich mit einer Gruppe gemein macht, die dem Geist des Kompromisses diametral entgegensteht, und sogar deren Aufrufe, gegen die eigene Partei zu demonstrieren, auf seinen Social Media-Präsenzen teilte. Noch während des Parteitages skandierte ein Mitglied auf einer Demonstration „Es gibt ein Recht auf Widerstand, wir weisen zurück, dass es sich dabei um Terrorismus handelt.“ Für diese Demonstranten wurde Rederecht auf dem Parteitag beantragt und sogar von 174 Delegierten befürwortet. Für mich ist damit eine rote Linie überschritten. Es reicht nicht, Beschlüsse zu fassen, die das Papier nicht wert sind auf dem sie stehen. Es braucht Unvereinbarkeitsbeschlüsse mit „Palästina spricht“, „Sozialismus von unten“ und ja auch „Marx 21“.

Debattenkultur und kulturelle Regression:

„Demokratische Sozialistinnen und Sozialisten sollten in ihrem aktuellen […] die Kultur einer künftigen solidarischen, sozial gerechten demokratisch sozialistischen Gesellschaft antizipieren, gewissermaßen als Vorwegnahme der Vision in einer entsolidarisierten Gesellschaft der Ellenbogen“ (Lothar Bisky)

Und während die Partei nicht in der Lage ist, zentrale inhaltliche Frage ernsthaft auf dem angemessen intellektuellen Niveau zu diskutieren und verbindlich zu klären, befindet sie sich kulturell in der Regression. Es ist unerträglich, wenn Mitglieder auf dem Landesparteitag von einer Bezirksvorsitzenden vorgeworfen wird die Relativierung der Shoah zu betreiben. Es ist unerträglich, wenn mir und anderen in einer Landesvorstandssitzung von einem Mitglied vorgeworfen wird, man betreibe einen innerparteilichen Machtkampf auf den Gräbern tausender ermordeter Palästinenser. Es ist unerträglich, wenn als Reaktion auf den Eklat auf dem Landesparteitag ein Resolutionsentwurf entsteht, der in seiner Substanz vor allem den Charakter einer mindestens mehrdeutigen Parteirüge hat. Die gestern beschlossene Resolution weicht davon zwar nach erheblichem Druck erfreulicherweise ab. Allerdings atmet auch sie den Geist der Mehrdeutigkeit, versteckt sich bei der notwendigen Abgrenzung von linken Antisemitismus hinter Parteitagsbeschlüssen, die durch praktisches Handeln der entsprechenden Gruppierungen wieder aufgekündigt wurden. In der Psychologie sagt man: Beobachtetes Verhalten ist der beste Prädiktor für zukünftiges Verhalten. Ich sehe bei den Akteuren der Mehrheitsströmungen in der Landespartei kein ernstliches Bemühen, der radikalen Realpolitik und ihren Vertretern trotz der Beschwörung von Pluralität noch einen Platz zu lassen.

Denke 100 Mal nach, bevor du eine Entscheidung triffst, aber wenn die Entscheidung getroffen ist, stehe dazu […] (Muhammad Ali)

Viele der beschriebenen Entwicklungen sind inzwischen Jahre alt, andere erst wenige Monate. Hatte das Ausscheiden des reaktionären Flügels unter Wagenknecht die Hoffnung aufkommen lassen, dass es nun zu den lange verschleppten Klärungsprozessen im Geiste einer interventionsfähigen, radikal-transformatorischen linken Kraft kommen würde, haben die vergangen Monate diese Hoffnung nun endgültig in mir sterben lassen. Diese Linke wurde und wird sukzessive von sektiererischen Gruppierungen übernommen. Die haben kein Interesse an einer radikalen Realpolitik, haben kein Interesse an einer interventionsfähigen Partei.

Ich wünsche allen, die dafür noch kämpfen wollen und die Kraft dazu haben von Herzen viel Erfolg. Ich kann dafür keine Kraft mehr aufbringen. Ich brauche sie, um auf Basis des Wahlprogramms 2021 und ja auch den vielen guten Punkten, des von unseren Mitgliedern beschlossenen Koalitionsvertrags 2021 meinen Wählern im Wahlkreis in der Fraktion und im Abgeordnetenhaus zu dienen.